Teil 5 der Serie „Missverständnisse aus der Welt geschafft!“
Sicherheit ist unbezahlbar, muss aber nicht kostspielig sein. Welche typischen Missverständnisse vorherrschen und warum es sich immer lohnt, genau zu hinterfragen, erklären wir in der Serie „Missverständnisse aus der Welt geschafft“. Teil 5 untersucht die Frage nach der wesentlichen Veränderung.
Das Thema „Wesentliche Veränderung“ birgt wohl die meisten der Missverständnisse, denen ich im Tagesgeschäft begegne. Sie reichen von der Annahme, dass jedes Retrofit automatisch eine wesentliche Veränderung ist, bis zu der Überzeugung, dass man als Betreiber nicht zum Hersteller werden kann, wenn man den eigenen Bestand im Maschinenpark überarbeitet. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Die meisten Missverständnisse gründen auf den Aussagen der bisherigen Maschinenrichtlinie beziehungsweise des sogenannten Blue Guide zu diesem Thema. Diese Aussagen sind meist schwammig formuliert und bieten daher oft reichlich Spielraum für Interpretationen. In der Maschinenrichtlinie sucht man den Begriff „Wesentliche Veränderung“ sogar vergebens, da dieser Sachverhalt unter dem Aspekt des Inverkehrbringens abgehandelt wird. Im Leitfaden der Europäischen Kommission zur Anwendung der Maschinenrichtlinie heißt es dazu: „Es stellt sich damit die Frage, ab wann ein Umbau einer Maschine als Bau einer neuen Maschine gilt, welche der Maschinenrichtlinie unterliegt. Es ist nicht möglich, präzise Kriterien zu formulieren, mit denen diese Frage in jedem Einzelfall beantwortet wird.“
Was also ist zu tun? Und warum ist diese Frage überhaupt so wichtig?
Zumindest der zweite Teil ist leicht zu beantworten. Kommt man zu dem Schluss, dass eine Maschine wesentlich verändert wird, also quasi eine Neumaschine wird, ist das komplette CE-Konformitätsbewertungsverfahren neu zu durchlaufen. Das ist jedoch – je älter die Maschine, desto wahrscheinlicher – mit möglicherweise unvollständiger Dokumentation fast unmöglich. Außerdem verfügen Betreiber im Gegensatz zum Hersteller oft gar nicht über das nötige Know-how. Das neue Konformitätsbewertungsverfahren kann sich daher schlimmstenfalls sogar zu einem wirtschaftlichen Totalschaden auswachsen. Denn plötzlich können grundlegende Teile der Steuerung auf dem Prüfstand bzw. vor dem Austausch stehen, an die bei der Retrofit-Planung noch niemand gedacht hat. Die Frage, ob eine Veränderung wesentlich ist oder nicht, kann also ein entscheidendes Kriterium bei der Machbarkeit eines Retrofits sein und sollte daher dringend gleich zu Beginn der Planung beantwortet werden. Am Ende muss immer ein sicheres Arbeitsmittel im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung stehen – gegebenenfalls mit einer neuen CE-Erklärung.
„Die Frage, ob eine Veränderung wesentlich ist oder nicht, kann ein entscheidendes Kriterium bei der Machbarkeit eines Retrofits sein und sollte daher dringend gleich zu Beginn der Planung beantwortet werden.“
Sascha Brengmann
Zurück zur Frage des richtigen Vorgehens: Hier empfiehlt der Blue Guide weiter: „Im Zweifel ist es für die Person, die eine derartige wieder aufgebaute Maschine in Verkehr bringt oder in Betrieb nimmt, ratsam, mit den zuständigen einzelstaatlichen Behörden Rücksprache zu halten.“ Nun haben die nationalstaatlichen Behörden vermutlich nicht die notwendigen Ressourcen, jeden Betreiber bei seiner Entscheidungsfindung individuell zu unterstützen. Hier hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) entsprechend reagiert und ihrerseits ein Interpretationspapier veröffentlicht, das zumindest in Deutschland als Stand der Technik angenommen werden kann.
Anhand eines Flussdiagramms mit fünf Fragen können sich Betreiber den richtigen Weg und die notwendige Dokumentation für die Beantwortung der Frage erarbeiten – wenn sie das erforderliche Know-how in den klassischen Maschinenbaudisziplinen wie Risikobeurteilung und ‑minderung haben. In allen anderen Fällen stehen die Consulting-Kollegen von Pilz mit der Dienstleistung „Prüfung auf wesentliche Veränderung“ gerne zur Verfügung, um diesen ersten, entscheidenden Schritt im Retrofit-Prozess gemeinsam zu gehen.
Aus der Praxis für die Praxis
Sascha Brengmann ist bei Pilz im technischen Systemvertrieb der Vertriebsregion West tätig. Für die Serie „Missverständnisse aus der Welt geschafft“ berichtet er aus seinem Praxisalltag. Er nimmt dabei die typischen Fragestellungen seiner Kunden unter die Lupe und löst klassische Missverständnisse auf.