Interview mit Marcel Wöhner, Chief Technical Officer bei der Vertriebs- und Servicegesellschaft Deutschland.
Welche Änderungen bringt die neue EU-Maschinenverordnung 2023/1230 (MVO) im Hinblick auf Security und Cybersicherheit?
Die MVO bringt erstmals verbindliche Anforderungen für digitale Sicherheit an Maschinen. Zum einen müssen IT-Schnittstellen so gestaltet sein, dass sie keine gefährlichen Situationen durch externe Verbindungen verursachen – also beispielsweise über Authentifizierungsmechanismen verfügen und so Schutz vor unbefugtem Zugriff sicherstellen. Zum anderen werden auch KI-basierte Funktionen rechtlich erfasst und Maschinen mit „selbstlernendem Verhalten“ in Sicherheitsfunktionen als Hochrisikoprodukte eingeordnet. Zwar wird der Begriff „Cybersecurity“ nicht direkt genannt, doch die Verordnung fordert umfassende Security-Maßnahmen.
Wie bewerten Sie die Bedeutung von Security-Aspekten in der neuen Verordnung für Maschinenhersteller und ‑betreiber?
Security ist kein optionales Extra mehr, sondern ein verbindlicher Bestandteil der Maschinensicherheit. Für Hersteller bedeutet das, sich intensiv mit Fragen der digitalen Absicherung auseinanderzusetzen: Wie kommuniziert die Maschine mit ihrer Umgebung? Wer darf auf welche Schnittstellen zugreifen? Und vielleicht noch wichtiger: Wie wird die Maschine robuster gegen unbeabsichtigte Zugriffe und Änderungen? Also wie werden Wartung, Updates oder Änderungen an Maschinenprogrammen sicher geregelt?
Auch für Betreiber ergeben sich neue Anforderungen. Es muss definiert werden, wer an der Maschine arbeiten darf, wer physischen Zugang erhält und wer berechtigt ist, über digitale Schnittstellen Veränderungen am Bearbeitungsprozess vorzunehmen. Die Verordnung schafft hier erstmals einen verbindlichen rechtlichen Rahmen – und das ist ein wichtiger Schritt, um einheitliche Standards in der Praxis zu etablieren.
Pilz Podcast #44 || Software als Sicherheitsbauteil – Ein Blick in die Maschinenverordnung
Natürlich haben sich viele Premiumhersteller bereits mit diesen Themen beschäftigt. Doch gerade im unteren Preissegment war Security bislang oft zweitrangig – der Fokus lag eher auf Kosten als auf Prozessen. Die gesetzliche Vorgabe zwingt jetzt alle Beteiligten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das schafft Klarheit und macht unsere Systeme langfristig robuster gegenüber Cyberbedrohungen.
Welche konkreten Anforderungen stellt die neue Maschinenverordnung an die IT-Sicherheit von Maschinen und Anlagen?
Die MVO fordert eine deutlich höhere digitale Robustheit. Maschinen müssen so konzipiert sein, dass unbeabsichtigte oder unbefugte Eingriffe – etwa durch Fehlbedienung oder Cyberangriffe – verhindert werden. Dazu gehören klare Berechtigungskonzepte, Benutzerrollen, Passwortschutz und die lückenlose Protokollierung sicherheitsrelevanter Vorgänge.

„Cybersecurity ist kein Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess. Ein „build and forget“ wird es in diesem Bereich niemals geben.“
Marcel Wöhner, Chief Technical Officer,
Vertriebs- und Servicegesellschaft Deutschland
Besonders im Fokus stehen die Schnittstellen, d. h. welche Schnittstellen bieten die Maschinen und welche möchte man zulassen. Es muss definiert sein, welche Zugriffe – ob lokal oder remote – erlaubt sein sollen, wer etwa Firmware aufspielen oder Rezepturen verändern darf. Ziel ist es, Manipulationen zu verhindern und die Integrität der Systeme dauerhaft zu sichern.
Wie sollten Unternehmen mit dem Thema „Schutz vor Manipulation durch unbefugte Zugriffe“ umgehen, das in der Verordnung explizit adressiert wird?
Zunächst müssen Unternehmen ein klares Zugriffsmanagement beschreiben und umsetzen, um Manipulationen zu verhindern. Dazu gehören ein sinnvolles Rollenkonzept und ein geeignetes Authentifizierungsverfahren. Statt einer Vielzahl individueller Passwörter sollten Maschinen in zentrale Sicherheitsinfrastrukturen – beispielsweise über Single Sign-On – eingebunden werden. Einheitliche Standards fehlen noch, aber durchdachte Konzepte sind jetzt Pflicht.
Welche Rolle spielen Software-Updates und Fernzugriffe im Kontext der neuen Sicherheitsanforderungen?
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In der Praxis laufen Maschinen teilweise mit jahrzehntealter Software, weil sie noch zuverlässig funktionieren. Die neue Maschinenverordnung fordert hier ein Umdenken: Hersteller müssen Maschinen so gestalten, dass Software-Updates einfach möglich sind, ohne die Stabilität zu gefährden. Das erhöht die Resilienz und schafft die Grundlage für langfristige Sicherheit.
Zudem stehen wir vor einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite braucht es Fernzugriffe, um Wartung und Support effizient zu gestalten und die Produktivität hochzuhalten. Auf der anderen Seite müssen genau diese Zugänge gegen unbefugte Eingriffe geschützt werden. Die bisher oft offenen IoT-Schnittstellen müssen künftig gezielt abgesichert werden – durch klare Zugriffskonzepte, Protokollierung sowie technische Schutzmaßnahmen.
Die Herausforderung liegt darin, beides zu ermöglichen: Flexibilität im Betrieb und Sicherheit im Zugriff. Die neue Verordnung gibt dafür den Rahmen vor – jetzt ist es an den Unternehmen, diesen mit durchdachten Lösungen zu füllen.
Welche typischen Schwachstellen oder Missverständnisse begegnen Ihnen bei der Beratung von Maschinenherstellern in Bezug auf Security?
Viele Maschinenhersteller haben sich bislang kaum oder gar nicht mit dem Thema Security auseinandergesetzt – oder fühlen sich schlichtweg nicht dafür zuständig. Oft höre ich Aussagen wie: „Die Einbindung der Maschine in die IT-Umgebung ist Aufgabe des Betreibers – damit hat der Maschinenhersteller nichts zu tun.“ Dabei wird übersehen, dass die Voraussetzungen für eine sichere Integration bereits im Design der Maschine geschaffen werden müssen. Mechanismen, Schnittstellen und Schutzmaßnahmen müssen von Anfang an mitgedacht, dokumentiert und implementiert werden. Genau deshalb finden sich entsprechende Anforderungen jetzt auch in der neuen Maschinenverordnung wieder.
Ein weiteres weitverbreitetes Missverständnis ist die Annahme, Security ließe sich – ähnlich wie Safety – einmalig in die Maschine „einbauen“ und sei damit für die gesamte Lebensdauer abgedeckt. Während sich bei Safety über regelmäßige Prüfungen die Funktionsfähigkeit nachweisen lässt, ist Security einem ganz anderen Rhythmus unterworfen: Bedrohungsszenarien entwickeln sich dynamisch, neue Schwachstellen treten oft erst im laufenden Betrieb zutage und erfordern kontinuierliche Anpassungen. Cybersecurity ist kein Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess. Ein „build and forget“ wird es in diesem Bereich niemals geben.
Welche Maßnahmen empfehlen Sie zur Erfüllung der neuen Security-Vorgaben?
Ein wichtiger Schritt ist die Schulung des Personals. Gut informierte Mitarbeiter sind die effektivste Firewall. Wer die grundlegenden Zusammenhänge von Schnittstellen, Rechteverwaltung oder Update-Notwendigkeiten nicht kennt, kann Systeme auch nicht „secure“ auslegen und konzipieren. Security beginnt also nicht bei der Technik, sondern vor allem beim Verständnis – und das lässt sich nur durch gezielte Weiterbildung schaffen.
„Security beginnt nicht bei der Technik, sondern vor allem beim Verständnis – und das lässt sich nur durch gezielte Weiterbildung schaffen.“
Marcel Wöhner, Chief Technical Officer,
Vertriebs- und Servicegesellschaft Deutschland
Aus technischer Sicht empfehle ich die Einführung eines rollenbasierten Zugriffs- und Zugangsmanagements. Ergänzend wird als Grundlage für die Risikoanalyse eine Topologiedarstellung aller Steuerungskomponenten der Anlage benötigt. Auf dieser Basis gilt es zu bewerten, welche Schnittstellen erforderlich sind, wie diese funktionieren und wie sie überwacht werden können. Wo möglich, sollten nicht benötigte Schnittstellen deaktiviert oder abschaltbar gestaltet werden.
Welche Herausforderungen haben Unternehmen bei der Umsetzung der neuen Verordnung bis zum 20. Januar 2027?
Der Anwendungsbereich und die meisten Anforderungen der neuen Maschinenverordnung entsprechen inhaltlich der bisherigen Maschinenrichtlinie. Unternehmen, die bereits gut aufgestellt sind, müssen sich bis zum Stichtag am 20. Januar 2027 keine großen Sorgen machen – insbesondere, wenn sie keine Hochrisikomaschinen herstellen oder keine neuen Rollen wie Importeur oder Händler übernehmen.
Webinar zur EU-Maschinenverordnung
Im Webinar zur EU-Maschinenverordnung werden die wichtigsten Neuerungen und Änderungen kompakt zusammengefasst. Experte Matthias Wimmer gibt einen Überblick zur Veröffentlichung der Verordnung und erläutert die verfahrensrechtlichen, organisatorischen und technischen Änderungen, die im Detail zu erwarten sind. Die Aufzeichnung des Webinars kann kostenlos angefordert werden. Kostenlose Aufzeichnung anfordern.

Neu zu berücksichtigen ist der verpflichtende Schutz vor Manipulation und unbefugtem Zugriff – also Aspekte der Cybersicherheit. Zukünftig fallen mehr Maschinentypen in die Kategorie der Hochrisikomaschinen und werden damit baumusterprüfpflichtig, ebenso wenn KI in sicherheitsrelevanten Funktionen zum Einsatz kommt.
„Die größte Herausforderung sehe ich im unterschiedlichen Verständnis und in den Erwartungshaltungen zwischen Herstellern und Betreibern. Die Umsetzung der neuen Anforderungen wird nur im engen Dialog und durch ein gemeinsames Verständnis von Aufgaben, Pflichten und technischen Möglichkeiten gelingen.“
Marcel Wöhner, Chief Technical Officer,
Vertriebs- und Servicegesellschaft Deutschland
Die größte Herausforderung sehe ich im unterschiedlichen Verständnis und in den Erwartungshaltungen zwischen Herstellern und Betreibern. Die Umsetzung der neuen Anforderungen wird nur im engen Dialog und durch ein gemeinsames Verständnis von Aufgaben, Pflichten und technischen Möglichkeiten gelingen.
Welche Rolle spielt Security im Kontext aktueller EU-Regularien wie CRA und MVO?
Sowohl CRA als auch MVO verfolgen das Ziel, die Cybersicherheit von Maschinen und vernetzten Produkten in Europa systematisch zu stärken. Unternehmen müssen künftig beide Regelwerke parallel berücksichtigen – auch Entwicklungsprozesse sind entsprechend anzupassen. Wenn die EU mehrere Verordnungen mit direktem Bezug zur Cybersicherheit auf den Weg bringt, zeigt das doch deutlich, wie ernst dieses Thema auf oberster politischer Ebene genommen wird und welchen wirtschaftlichen Stellenwert es mittlerweile einnimmt. Mein klarer Appell lautet daher: Frühzeitig in Security-by-Design investieren.




